NEUERSCHEINUNG

WARUM ES SICH LOHNT
ANDERS ZU SEIN!

Radikal denken, Komplexität vermeiden, Silos sprengen.

Buchcover: Warum es sich lohnt anders zu sein

Vorwort

Der Mut zum eigenen Weg

In der Welt des modernen Managements ist es laut geworden. Wir werden täglich überflutet mit neuen Buzzwords, revolutionären Methoden und den vermeintlichen „Best Practices“ der Branche. Der Druck, mitzuhalten, ist enorm. Wer nicht „agil“ ist, wer nicht „disruptiert“, wer nicht sofort auf jeden Zug aufspringt, der – so suggeriert es uns der Mainstream – hat den Anschluss schon verloren.

Doch in meiner Laufbahn, und besonders in meiner jetzigen Verantwortung als Vorstand für Betrieb und IT bei der Domcura, habe ich eine andere Erfahrung gemacht. Ich habe gelernt, dass der sicherste Weg in die Mittelmäßigkeit genau dort liegt, wo alle anderen auch hingehen. Wer nur kopiert, kann nicht überholen. Wer nur dem Mainstream folgt, gibt das wertvollste Gut auf, das eine Führungskraft und ein Unternehmen besitzen: das eigene Urteilsvermögen.

Dieses Buch trägt den Titel „Warum es sich lohnt, anders zu sein“, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass echter unternehmerischer Erfolg und menschliche Erfüllung heute Mut erfordern. Den Mut, Situationen, Prozesse und Geschäftsmodelle radikal zu hinterfragen, anstatt sie als gegeben hinzunehmen.

Als IT-Vorstand beschäftige ich mich täglich mit Komplexität. Unsere technologische Welt wird immer verwobener. Die natürliche Reaktion vieler Organisationen darauf ist, ebenfalls komplexer zu werden: mehr Regeln, mehr Gremien, mehr Abstimmungsschleifen. Ich plädiere für das Gegenteil. Wir brauchen die Fähigkeit der Abstraktion. Wir müssen lernen, Dinge wieder so weit zu vereinfachen, dass wir ihren Kern verstehen. Nur wer abstrahieren kann, kann Komplexität beherrschen, statt von ihr beherrscht zu werden.

Doch Technik und Prozesse sind nur die eine Seite der Medaille. Eine Organisation besteht aus Menschen. Und hier kommen wir zu dem Punkt, der mir persönlich am meisten am Herzen liegt und der vielleicht ungewöhnlich für ein Managementbuch erscheint: mein Glaube.

Ich bin gläubig. Dieser Aspekt ist für mich kein privates Hobby, das ich an der Bürotür abgebe, sondern mein Kompass im Umgang mit Menschen. Er prägt mein Verständnis von Führung. Es geht nicht um Macht um der Macht willen, sondern um Dienst an der Gemeinschaft. Wir müssen weg vom Silodenken, in dem jeder seinen Bereich verteidigt, hin zu einer echten Gesamtorganisation. Das erreichen wir nicht durch Befehle, sondern durch Teilhabe.

Teilhabe bedeutet für mich, die Umsetzungskraft der Vielen zu entfesseln. Wenn wir Silos aufbrechen und Menschen wirklich beteiligen, entsteht eine Energie, die kein noch so genialer Strategieplan von oben herab erzeugen kann.

Dieses Buch ist eine Einladung. Eine Einladung an Sie, sich Ihr eigenes Bild zu machen. Es ist ein Plädoyer dafür, den Verstand zu nutzen, um Komplexität zu reduzieren, und das Herz zu nutzen, um Menschen zu verbinden.

Es ist nicht immer bequem, anders zu sein. Man eckt an, man muss erklären, man muss aushalten. Aber ich verspreche Ihnen: Es lohnt sich. Für Ihr Unternehmen, für Ihre Mitarbeiter und nicht zuletzt für Sie selbst.

Ich wünsche Ihnen viel Freude und gute Gedanken beim Lesen.

MW
Marcus Wollny
Vorstand Betrieb und IT, Domcura
Dieses Buch wurde mit der freundlichen Unterstützung von KI erstellt.

Teil I

Das Fundament

Denken gegen den Strom

Kapitel 1: Die Komfortzone des Mainstreams

(Und warum wir sie verlassen müssen)

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum in Unternehmen so oft Hektik mit Produktivität verwechselt wird? Warum ständig neue Methoden, Tools oder Reorganisationen durch das Dorf getrieben werden, die Ergebnisse aber oft dieselben bleiben?

Die Antwort ist menschlich, allzu menschlich: Es ist die Suche nach Sicherheit durch Aktionismus.

In der Biologie sichert der Herdentrieb das Überleben. Im modernen Management führt er oft dazu, dass wir uns blindlings bewegen. Wir sehen, dass der Wettbewerber „Agilität“ einführt, dass die Analysten „KI“ rufen oder dass ein neues Management-Framework gerade in Mode ist. Und der erste Impuls ist: „Das müssen wir auch machen.“

Das Gefühl dabei ist beruhigend. Wenn wir tun, was alle tun, können wir nicht ganz falsch liegen. Wir fühlen uns produktiv, weil wir ein Projekt aufsetzen. Doch ich sage Ihnen als Vorstand: Dieser Aktionismus ist gefährlich.

Der Mut, der Störenfried zu sein

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Meetingraum, voll besetzt mit motivierten Führungskräften. Die Stimmung ist aufbruchsorientiert. Jemand präsentiert die Einführung einer neuen Methode – nennen wir sie „XY“. Die Folien glänzen, der Zeitplan steht, alle nicken zustimmend. Man will ja modern sein. Man will vorankommen.

Und dann hebt einer die Hand und stellt die eine Frage, die die ganze schöne Stimmung ruiniert: „Warum brauchen wir die Einführung von XY eigentlich überhaupt?“

In diesem Moment sind Sie der Störenfried. Sie sind derjenige, der den "Flow" unterbricht. Sie sehen in rollende Augen. Sie hören das Seufzen der Kollegen, die denken: „Muss er jetzt wieder alles zerreden? Wir waren doch schon beim Roll-out-Plan!“

Doch genau an diesem Punkt entscheidet sich, ob wir uns dem Mainstream anschließen oder ob wir uns ein eigenes Bild verschaffen. Es ist leicht, sich auf das „Wie“ zu stürzen. Wie führen wir das Tool ein? Wie schulen wir die Mitarbeiter? Das „Wie“ ist handwerklich, das kann man abarbeiten. Aber das „Wie“ ist wertlos, wenn wir das „Warum“ und das „Was“ übersprungen haben.

Erst das Problem, dann die Lösung

In meiner Rolle erlebe ich oft, dass Lösungen präsentiert werden, die verzweifelt nach einem passenden Problem suchen. Da wird eine neue Prozess-Methodik gefordert, weil „man das heute so macht“.

Anders zu sein bedeutet hier: Stopp zu sagen. Es bedeutet, sich zurückzulehnen und zu fragen: Welches eigentliche Problem wollen wir hier lösen? Haben wir überhaupt ein Problem an dieser Stelle? Und wenn ja: Ist die Einführung von „XY“ wirklich die Antwort darauf, oder doktern wir nur an Symptomen herum?

Wer diese Fragen stellt, macht sich zunächst unbeliebt. Aber in Wahrheit ist dieser „Störenfried“ der effektivste Komplexitäts-Killer, den ein Unternehmen haben kann. Denn nichts erzeugt mehr unnötige Komplexität, mehr Frust und mehr Kosten als die Einführung von Dingen, die keinen echten Engpass lösen.

Sich ein eigenes Bild machen

Sich dem Mainstream anzuschließen, ist eine Form von intellektueller Bequemlichkeit. Es erspart uns das mühsame Durchdringen der eigenen Realität.

Ich möchte Sie ermutigen: Seien Sie dieser Störenfried. Trauen Sie sich, die naive Frage zu stellen, bevor der Zug abfährt. Wir werden als Führungskräfte nicht dafür bezahlt, Trends zu exekutieren. Wir werden dafür bezahlt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und oft ist die beste Entscheidung, etwas nicht zu tun, was alle anderen gerade tun, weil es für uns schlichtweg keinen Sinn ergibt.

Kapitel 2: Die Kunst des Hinterfragens

(Warum „Das ist doch logisch“ oft der Feind des Fortschritts ist)

Nachdem wir den Mut gefunden haben, der „Störenfried“ zu sein, der den blinden Aktionismus stoppt, stehen wir vor der nächsten Herausforderung. Wir stellen eine Frage – und die Antwort, die wir bekommen, ist meistens nicht: „Keine Ahnung.“

Die Antwort kommt oft wie aus der Pistole geschossen, vorgetragen mit dem Brustton der Überzeugung: „Das ist doch logisch! So muss man es machen. Wie denn sonst?“

Das ist der Moment, in dem viele Führungskräfte einknicken. Denn gegen „Logik“ zu argumentieren, fühlt sich falsch an. Wer will schon unlogisch sein? Doch genau hier liegt der Trugschluss. In meiner Erfahrung als Vorstand ist dieses „Das ist doch logisch“ oft nur eine intellektuelle Schutzbehauptung. Es bedeutet eigentlich: „In meinem bisherigen Denkmodell ist das der einzige Weg.“

Die Falle der scheinbaren Zwangsläufigkeit

Prozesse und Strukturen wirken oft in sich geschlossen. Schritt A führt zu Schritt B. Das ist in sich „logisch“. Aber sich ein eigenes Bild zu machen bedeutet, nicht die Logik innerhalb des Systems zu prüfen, sondern die Logik des Systems selbst infrage zu stellen.

Ist es wirklich logisch, dass wir Schritt A überhaupt machen? Oder ist das nur eine Folge einer Annahme, die wir vor fünf Jahren getroffen haben und die heute gar nicht mehr gilt?

Die Behauptung „So muss man es machen“ ist oft eine Weigerung, Komplexität abzubauen. Sie suggeriert Alternativlosigkeit. Aber im Business, genau wie im Leben, gibt es fast immer Alternativen.

Konstruktive Respektlosigkeit gegenüber der „Logik“

Um diese scheinbare Zwangsläufigkeit zu durchbrechen, brauchen wir eine Haltung der konstruktiven Respektlosigkeit. Wir müssen uns trauen, auch das vermeintlich Offensichtliche anzugreifen.

Wenn mir jemand erklärt, dass ein komplizierter IT-Prozess „logisch“ sei, weil die Datenstruktur das so verlange, dann akzeptiere ich das nicht als Ende der Diskussion. Das ist der Startpunkt. Ich frage dann: „Warum ist die Datenstruktur so?“ „Ist diese Logik zwingend für unseren Geschäftserfolg?“ „Was würde passieren, wenn wir es ‚unlogisch‘ machen – also völlig anders, als es das Lehrbuch vorsieht?“

Oft stellt sich heraus: Die „Logik“ war nur ein Gerüst, um Unsicherheiten zu kaschieren.

Denker statt Verwalter

Es ist bequem, Abläufe als „logisch gegeben“ hinzunehmen. Es macht den Arbeitsalltag ruhig. Man muss nur noch verwalten. Aber wir werden nicht fürs Verwalten bezahlt. Wir werden fürs Denken bezahlt.

Sich ein eigenes Bild zu verschaffen heißt, die Anstrengung auf sich zu nehmen, diese Denk-Ketten rückwärts aufzurollen. Hinterfragen Sie das „Logische“. Seien Sie skeptisch, wenn jemand sagt „So muss man es machen“. Meistens muss man es nämlich gar nicht so machen. Man hat sich nur daran gewöhnt, nicht mehr darüber nachzudenken.

Kapitel 3: Der innere Kompass – Glaube und Führung

Wir haben in den ersten Kapiteln viel „zerschlagen“. Wir haben Best Practices als Herdentrieb entlarvt und die vermeintliche „Logik“ als Komfortzone enttarnt. Aber wenn wir all diese äußeren Sicherheiten wegnehmen: Woran orientieren wir uns dann? Wenn ich mich als Führungskraft entscheide, „anders“ zu sein, brauche ich einen Anker, der nicht im Tagesgeschäft liegt.

Für mich persönlich ist dieser Anker mein Glaube.

Keine Predigt, sondern eine Haltung

Ich schreibe dies nicht, um zu missionieren. Aber ich wäre nicht authentisch, wenn ich diesen Aspekt verschweigen würde. Mein Glaube ist für mich keine private Nische, die ich morgens an der Pforte der Domcura abgebe. Er ist das Betriebssystem, auf dem meine Entscheidungen laufen.

In einer Welt, die oft rein technokratisch und zahlengetrieben ist, erinnert mich der Glaube an eine fundamentale Wahrheit: Der Mensch ist Mittelpunkt, nicht Mittel zum Zweck. Das christliche Menschenbild verlangt, im Gegenüber – sei es der Mitarbeiter, der Kunde oder der Dienstleister – nicht nur eine Ressource zu sehen, sondern einen Menschen mit Würde.

Wenn wir anfangen, Prozesse zu hinterfragen, dürfen wir das nie tun, um Menschen wegzuoptimieren. Wir tun es, um Menschen von sinnloser Arbeit zu befreien, damit sie wieder wirksam sein können.

Dienen statt Herrschen

Der Begriff „Vorstand“ klingt nach Oben. Nach Herrschen. Mein Verständnis, geprägt durch meinen Glauben, ist das des „Servant Leadership“ – Führen durch Dienen. Habe ich die Demut zu erkennen, dass meine Mitarbeiter im Detail oft schlauer sind als ich? Verstehe ich meine Machtposition als Mandat, Hindernisse für mein Team aus dem Weg zu räumen?

Anders zu sein bedeutet hier: Die Pyramide im Kopf umzudrehen. Ich arbeite für meine Leute, damit die für die Kunden arbeiten können.

Der Anker im Sturm

Wer anders ist, wer hinterfragt, wer den Status quo angreift, der bekommt Gegenwind. Ohne ein festes Fundament kann dieser Druck einen zerbrechen.

Mein Glaube gibt mir die Gelassenheit, diesen Druck auszuhalten. Das Wissen, dass mein Wert als Mensch nicht allein an der nächsten Quartalszahl hängt, macht mich freier in meinen Entscheidungen. Ich kann mutiger entscheiden. Ich kann Fehler zugeben und vergeben.

Wer in sich ruht, muss im Außen keinen Lärm machen. Er kann sich darauf konzentrieren, das Richtige zu tun.

Teil II

Komplexität durch Abstraktion besiegen

Kapitel 4: Der Feind heißt Komplexität

Wenn wir uns in deutschen Unternehmen umsehen, könnte man meinen, Komplexität sei eine Währung. Je komplizierter ein Organigramm, je verschachtelter eine IT-Architektur, desto „professioneller“ wirkt das Ganze.

Doch als Vorstand für Betrieb und IT sehe ich jeden Tag die dunkle Seite dieser Medaille: Komplexität ist der natürliche Feind der Geschwindigkeit und der Klarheit.

Das Monster, das wir selbst füttern

Warum bauen wir Bürokratiemonster? Oft aus Unsicherheit. Wenn wir ein Problem nicht wirklich verstanden haben, neigen wir dazu, alle Eventualitäten abdecken zu wollen. Wir bauen „Sicherheitsnetze“ für Fälle, die vielleicht alle zehn Jahre einmal eintreten. Ein weiterer Grund ist Eitelkeit. Abteilungen definieren ihre Wichtigkeit oft über die Komplexität ihrer Aufgaben.

Der Ruf nach der „Eierlegenden Wollmilchsau“

Besonders in der IT erleben wir oft den Wunsch nach dem perfekten System, das alles kann. Fachbereiche kommen mit Anforderungskatalogen, die so detailliert sind, dass die Umsetzung Jahre dauert.

Wir müssen aufhören, Perfektion durch Komplexität erreichen zu wollen. Ein guter Prozess, der einfach ist und von den Menschen verstanden wird, ist tausendmal wertvoller als ein perfekter Prozess, den niemand kapiert.

Komplexität zu erzeugen ist einfach. Jeder kann etwas Kompliziertes bauen. Aber etwas Komplexes einfach zu machen – das ist die wahre Kunst. Das Werkzeug dazu ist die Abstraktion.

90%
Standard
Automatisieren, damit Zeit
für die wichtigen 10% bleibt.

Kapitel 5: Abstraktion – Die unterschätzte Superkraft

(Und die 90%-Wahrheit)

Wenn ich in Meetings das Wort „Abstraktion“ benutze, sehe ich oft in fragende Gesichter. Abstraktion klingt nach Theorie. Doch in der IT – und in der modernen Unternehmensführung – ist genau das Gegenteil der Fall: Abstraktion ist die Kunst, das Komplizierte wegzulassen, bis nur noch die reine Wahrheit übrig bleibt.

Abstraktion bedeutet, Muster zu erkennen. Und wer diese Fähigkeit besitzt, kommt fast zwangsläufig zu einer Erkenntnis, die für viele Manager schockierend, für mich aber befreiend ist. Ich nenne sie die 90%-Wahrheit.

Schrauben oder Versicherungen?

Lassen Sie uns ehrlich sein: Jede Abteilung und jedes Unternehmen hält sich für einzigartig. Der Vertriebler sagt: „Unsere Kunden sind ganz speziell.“ Die Versicherungsbranche sagt: „Wir sind ganz anders als die Automobilindustrie.“

Wenn wir uns aber die Mühe der Abstraktion machen, stellen wir fest: Das stimmt nicht.

Schauen Sie sich einen klassischen Verwaltungsprozess an. Egal wo.
1. Input (es kommt was rein)
2. Validierung (ist es vollständig?)
3. Verarbeitung (Entscheidung)
4. Output (Antwort raus)
5. Archivierung (Ablage)

Ob der „Input“ nun eine Bestellung für Schrauben ist oder eine Schadensmeldung für einen Sturmschaden am Dach, ist für die Struktur des Prozesses völlig irrelevant. Meine These lautet: 90 % aller Verwaltungsprozesse sind in jedem Unternehmen gleich. Sie unterscheiden sich nur inhaltlich, also in den Daten, die wir durch die Rohre schicken.

Die Arroganz der „Sonderlösung“

Warum ist diese Erkenntnis so wichtig? Weil wir in Unternehmen dazu neigen, für die 10 % inhaltlichen Unterschied (Schraube vs. Versicherung) die kompletten 90 % der Prozess-Maschine neu zu erfinden. Wir bauen riesige, individuelle IT-Kathedralen, weil wir glauben, unser „Input“ sei so speziell.

Das ist die Quelle von unnötiger Komplexität. Wer abstrahieren kann, der sagt: „Wir nehmen den Standard-Prozess (die 90 %) und passen nur die zwei Felder an, die spezifisch sind (die 10 %).“ Abstraktion ist der Mut zur Vereinfachung. Sie entlarvt die Eitelkeit der Sonderlösung.

Anders sein durch Klarheit

Es lohnt sich, diese Fähigkeit zu trainieren. Wenn Sie das nächste Mal in einem Meeting sitzen und die Diskussion sich in Details verliert, dann treten Sie einen Schritt zurück. Abstrahieren Sie. Fragen Sie: „Über welches grundsätzliche Prinzip reden wir hier eigentlich?“

Lassen Sie uns die 90 % standardisieren und einfach halten. Dann haben wir nämlich endlich den Kopf und die Ressourcen frei, um uns mit voller Leidenschaft um die 10 % zu kümmern, die wirklich den Unterschied machen.

Teil III

Vom Silo zur Gemeinschaft

Kapitel 6: Silos sind Angst-Bunker

Wenn wir akzeptieren, dass 90 % der Prozesse eigentlich gleich sind, stellt sich eine Frage: Warum tun sie es in der Praxis so oft nicht? Warum stockt der Fluss? Die Antwort liegt in der Geografie unserer Organisation. Wir haben Unternehmen in vertikale Türme zerschnitten: Vertrieb, Betrieb, IT, Schaden. Wir nennen das Struktur. Ich nenne es Silos. Und Silos sind in Wahrheit Angst-Bunker.

Der Schutzwall gegen die Verantwortung

Warum bauen Menschen Mauern? Um sich zu schützen. Das Silo bietet Sicherheit. Innerhalb meiner Abteilung bin ich König. Sobald ich mit einer anderen Abteilung zusammenarbeiten muss, begebe ich mich auf unsicheres Terrain. Also schotten wir uns ab. Wir optimieren unseren kleinen Bereich und verlieren dabei völlig aus den Augen, ob das dem gesamten Unternehmen nützt.

Der Kunde wohnt nicht im Silo

Das stärkste Argument gegen Silos liefert uns wieder die Abstraktion: Der Kunde. Dem Kunden ist es egal, wie wir organisiert sind. Er will nicht wissen, dass „die IT noch das Update fahren muss“. Er sieht nur ein Unternehmen. Als Vorstand für Betrieb und IT spüre ich das besonders stark. IT-Systeme sind gnadenlos ehrlich. Sie decken auf, wenn Prozesse nicht „End-to-End“ gedacht sind. Wenn Daten manuell von einem System ins andere getippt werden müssen, haben wir kein technisches Problem – wir haben ein Silo-Problem.

Hin zur Gesamtorganisation

Um Silos aufzubrechen, müssen wir weg vom „Abteilungs-Egoismus“ hin zur Gesamtorganisation. Das bedeutet, dass wir Ziele definieren, die man im Alleingang gar nicht erreichen kann. In einer Gesamtorganisation gibt es keine „IT-Projekte“. Es gibt nur Unternehmensprojekte mit IT-Beteiligung. Silos sind Bunker der Angst. Angst vor Transparenz, Angst vor Kontrollverlust. Reißen wir die Bunker ab. Die frische Luft wird dem Unternehmen guttun.

Kapitel 7: Die Macht der Teilhabe

(Warum Befehle langsam machen)

Es gibt einen Satz, den jeder Manager kennt: „Man muss Betroffene zu Beteiligten machen.“ Man nickt – und dann schreibt man eine Anweisung, wie der neue Prozess zu laufen hat. Warum? Weil wir glauben, dass es schneller geht. Doch ich habe eine harte Lektion gelernt: Der schnellste Weg zum Start ist oft der langsamste Weg ins Ziel.

Was nützt die brillanteste Strategie, wenn sie auf dem Flur und am Schreibtisch der Mitarbeiter auf stillen Widerstand stößt?

Der Unterschied zwischen Information und Teilhabe

Viele Führungskräfte verwechseln Teilhabe mit Information. Information: „Wir haben beschlossen, System X zu nutzen.“ Teilhabe: „Wir haben ein Problem. Wie würde eine Lösung aussehen, mit der ihr gut arbeiten könnt?“ Im zweiten Fall wird der Mitarbeiter zum Mit-Gestalter. Menschen zerstören nicht, was sie selbst mitgebaut haben.

Umsetzungskraft durch Sinn

Warum lohnt es sich, diesen anstrengenden Weg der Teilhabe zu gehen? Weil er Umsetzungskraft freisetzt. Wenn ich als Chef sage: „Macht das so!“, bekomme ich Gehorsam. Wenn ich Teilhabe zulasse, bekomme ich Commitment. Die Energie der gesamten Organisation richtet sich auf das Ziel aus. Das ist der Moment, in dem die Silos wirklich fallen.

Die Demut der Führung

Hier kommen wir wieder auf das christliche Menschenbild zurück. Echte Teilhabe erfordert Demut. Ich muss mir eingestehen, dass ich die Details des Alltags nicht so gut kenne wie meine Mitarbeiter. Teilhabe ist ein Vertrauensvorschuss. Ich gebe Kontrolle ab, um Wirksamkeit zu gewinnen. Wer schnell sein will, muss die Menschen beteiligen. Alles andere ist nur Hektik im Leerlauf.

Teil IV

Praxis – Vom Experiment zur Lösung

Kapitel 8: Technologien konsequent nutzen

Wir haben über das Hinterfragen gesprochen, über Abstraktion und über Teilhabe. Doch all diese Prinzipien bleiben zahnlose Tiger, wenn wir im entscheidenden Moment zögern.

Es gibt eine Krankheit in deutschen Unternehmen, die ich die „Ewige Pilotphase“ nenne. Wir lieben es, neue Technologien – sei es Cloud, Blockchain oder aktuell KI – in kleinen, geschützten Räumen auszuprobieren. Wir bauen ein MVP (Minimum Viable Product), einen Prototypen. Wir feiern uns dafür, dass wir „innovativ“ sind.

Aber wenn es dann darum geht, diese Technologie nicht nur am Rande, sondern im Kern unseres Geschäftsmodells einzusetzen – dort, wo das Geld verdient wird –, dann bekommen wir kalte Füße.

Vom Experiment zur Konsequenz

Anders zu sein bedeutet für mich: Wir experimentieren nicht um des Experimentierens willen. Wir nutzen Technologie, um echte Herausforderungen zu lösen. Ein MVP ist gut, um zu lernen. Aber wenn wir erkannt haben, dass eine Technologie ein Problem löst, dann müssen wir sie konsequent ausrollen.

Konsequenz bedeutet: Keine halben Sachen. Es bedeutet, alte Systeme wirklich abzuschalten, statt das Neue nur als teuren Aufsatz oben draufzusetzen. Es bedeutet, den Prozess komplett der Technologie anzupassen, statt die Technologie zu verbiegen, damit sie in den alten Prozess passt.

Die „Das darf man nicht“-Falle (BaFin und AI Act)

Doch genau an diesem Punkt, wenn es ernst wird, begegnet mir oft der größte Widerstand. Er kommt meist im Gewand der juristischen Unmöglichkeit daher.

Nehmen wir das Thema Künstliche Intelligenz in Kernprozessen einer Versicherung. Sobald Sie vorschlagen, Entscheidungen über Schadenszahlungen von einer KI vorbereiten oder gar treffen zu lassen, kommt fast reflexartig der Einwand: „Das geht nicht. Das verstößt gegen die KI-Verordnung. Die BaFin erlaubt das nicht. Der EU AI Act verbietet das.“

Punkt. Diskussion beendet. Die Angst vor dem Regulator ist so groß, dass sie jede Innovation im Keim erstickt. Aber auch hier liegt das eigentliche Problem oft nicht im Gesetzestext, sondern darin, dass wir uns nicht die Mühe machen, zu hinterfragen.

Die Mühe des Schritts zurück

Wenn ich solche Aussagen höre, werde ich misstrauisch. Ich trete den berühmten Schritt zurück (Abstraktion) und stelle die unangenehme Frage: „Warum genau dürfen wir das nicht? Wo steht das?“

Oft stellt sich heraus: Der Bedenkenträger hat den AI Act gar nicht gelesen. Er plappert nur nach, was „allgemeine Meinung“ ist. Oder er nutzt die Compliance als bequemen Schutzschild, um sich nicht mit der Veränderung auseinandersetzen zu müssen.

Wenn wir uns die Mühe machen, tief einzutauchen, erkennen wir oft: Die Aufsicht verbietet Technologie nicht. Sie fordert nur, dass wir sie beherrschen. Sie fordert Transparenz (Warum hat die KI so entschieden?). Sie fordert Fairness. Sie fordert Risikomanagement. Das sind keine Verbote. Das sind Hausaufgaben!

Wer konsequent sein will, macht diese Hausaufgaben. Er versteckt sich nicht hinter Paragrafen, sondern er geht in den Dialog mit dem Regulator. Wir müssen aufhören, Technologie als Spielzeug zu betrachten. Wer sich von pauschalen Aussagen wie „Die BaFin will das nicht“ stoppen lässt, handelt fahrlässig am eigenen Unternehmen.

Technologien konsequent zu nutzen heißt, den harten Weg zu gehen. Nur so kommen wir vom „Experiment“ zur „Lösung“.

PRAXIS-BEISPIEL

Kapitel 9: Anders sein in der Praxis – Der Fall KIM

Theorie ist geduldig. Aber im operativen Betrieb zählt nur: Funktioniert es? Lassen Sie mich von einem Beispiel aus der Domcura erzählen, das zeigt, was passiert, wenn man Technologien wirklich konsequent nutzt: Die Einführung von KIM in der Schadenbearbeitung.

Der Kampf gegen die Welle

Wir kannten, wie viele Versicherer, das Problem der Schadenrückstände. Wenn Stürme kamen, stapelten sich die Akten. Der Mainstream-Reflex ist: „Wir brauchen mehr Hände.“ Man holt Zeitarbeiter, man macht Überstunden. Wir haben uns entschieden, das Problem zu hinterfragen. Wir wendeten die Prinzipien der Abstraktion an. Wir sahen, dass ein riesiger Teil der Arbeit aus immer gleichen Prüfschritten bestand (die 90 % Standard). Die Frage war nicht: „Wie schaffen wir mehr Arbeit weg?“ Die Frage war: „Warum machen das überhaupt noch Menschen?“

Die Geburt von KIM

Wir führten KIM ein – eine KI-basierte Lösung. KIM übernimmt die Masse der Standardfälle. Sie prüft die Deckung und entscheidet. Hier haben wir uns nicht von den typischen Bedenken („Darf eine Maschine das?“) stoppen lassen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Das Ergebnis: Die Rückstände schmolzen dahin. KIM wird nicht müde und arbeitet auch nachts.

Vom Prozess zur Vision

Doch KIM war nur der Anfang. Durch die Technologie veränderte sich unser Blick auf das Geschäftsmodell. Wir bauten einen Prozess, der „Digital First“ ist. Das führte zur Vision der vollautomatisierten Versicherung. Ein Kunde meldet einen Schaden. Noch während er das Handy in der Hand hält, prüft das System den Fall und weist die Zahlung an. Innerhalb von Sekunden.

Der Mensch in der automatisierten Welt

Wo bleibt der Mensch? Genau im Mittelpunkt. Indem KIM die Routine (die 90 %) wegschaufelt, haben unsere Mitarbeiter wieder Zeit. Zeit für die Fälle, die wirklich kompliziert sind. Zeit für die Kunden, die Trost und eine menschliche Stimme brauchen. Indem wir die Technik konsequent nutzen, um Komplexität zu vernichten, geben wir dem Geschäft seine Menschlichkeit zurück.

KIM ist der Beweis: Es lohnt sich, anders zu sein. Es lohnt sich, die „manuelle Prüfung“ nicht als Gottgegeben hinzunehmen und Compliance als Aufgabe statt als Verbot zu sehen.

KIM
Digital First
"KIM wird nicht müde und arbeitet auch nachts."

Eine Einladung

Wir sind am Ende dieses Buches angekommen, aber ich hoffe, für Sie ist es erst der Anfang.

Wir haben eine Reise unternommen – weg vom bequemen Mainstream, hinein in die Zone der konstruktiven Respektlosigkeit. Wir haben gelernt, dass wir uns ein eigenes Bild machen müssen. Wir haben gesehen, dass Abstraktion und die 90%-Erkenntnis der Schlüssel gegen Komplexität sind. Wir haben verstanden, dass Silos Angst-Bunker sind, die wir durch Teilhabe einreißen müssen. Wir haben erkannt, dass wir aufhören müssen zu experimentieren und Technologien konsequent nutzen müssen, auch gegen den Widerstand von Bedenkenträgern. Und wir haben darüber gesprochen, dass ein fester Wertekern – der Glaube – das Fundament ist.

Mein Ziel war es, Sie zu ermutigen. Ich lade Sie ein: Trauen Sie sich. Seien Sie der Störenfried, der nach dem „Warum“ fragt. Seien Sie der Vereinfacher. Seien Sie der Mensch, der seine Mitarbeiter beteiligt.

Es ist nicht immer der einfachste Weg. Aber wenn Sie sehen, wie die Komplexität schwindet und Visionen Realität werden – dann wissen Sie:

Es lohnt sich, anders zu sein!
Ihr Marcus Wollny
MW

Über den Autor

Marcus Wollny

Marcus Wollny ist der "Architekt der hybriden Assekuranz". Als Vorstand für Betrieb und IT bei der Domcura AG treibt er die Verschmelzung von traditionellem Versicherungsgeschäft und modernster Technologie voran. Wollny versteht es wie kaum ein Zweiter, die konservative Welt der Prozessabwicklung mit der Geschwindigkeit moderner InsurTechs zu synchronisieren.

Bekannt wurde er als der operative Kopf hinter dem Wandel der Deutschen Familienversicherung zum InsureTech, deren Börsengang er als CIO und COO technologisch orchestrierte. Doch Wollny ist kein Theoretiker: Der gebürtige Hannoveraner ist ein echter Umsetzer und weiß, dass Innovation nur funktioniert, wenn die Basisprozesse stabil sind.

Heute gilt er als Vordenker für den Einsatz generativer KI in der Schadenregulierung. Mit Projekten wie der "Knowledge & Intelligence Machine" (KIM) beweist er, dass Automatisierung und Kundennähe keine Gegensätze sind. Wollny wurde unter anderem als einer der "Most Visionary Fintech Leaders to Follow" (2025) ausgezeichnet und ist gefragter Redner auf Branchenkongressen wie der InsureNXT.

Die Essenz

Komplexität ist kein Schicksal.
Sie ist eine Entscheidung.

Warum scheitern so viele Transformationsprojekte? Nicht an der Technik, sondern an mangelndem Mut zur Einfachheit und an Mauern in den Köpfen.

Marcus Wollny, Vorstand bei der Domcura, legt den Finger in die Wunde des modernen Managements. Seine These: Wir machen Dinge kompliziert, um wichtig zu wirken, und ignorieren dabei, dass 90 % aller Unternehmensprozesse im Kern identisch sind.

In diesem Buch skizziert er einen klaren Weg aus der Komplexitätsfalle:

  • Radikal denken: Warum wir Probleme erst durchdringen müssen, bevor wir Lösungen kaufen.
  • Silos sprengen: Wie wir durch Teilhabe aus Betroffenen Beteiligte machen und Abteilungsgrenzen einreißen.
  • Technologie nutzen: Wie wir uns nicht von „Compliance-Angst“ lähmen lassen, sondern Visionen wie die KI-gestützte Bearbeitung (KIM) Realität werden lassen.

Ein Buch für Führungskräfte, die Ergebnisse wichtiger finden als den Status quo. Ehrlich, direkt und fundiert.

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Angaben gemäß § 5 DDG

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Rodenstraße 6

30826 Schloß Ricklingen

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E-Mail: marcus.wollny@t-online.de

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