Kapitel 1: Die Komfortzone des Mainstreams
(Und warum wir sie verlassen müssen)Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum in Unternehmen so oft Hektik mit Produktivität verwechselt wird? Warum ständig neue Methoden, Tools oder Reorganisationen durch das Dorf getrieben werden, die Ergebnisse aber oft dieselben bleiben?
Die Antwort ist menschlich, allzu menschlich: Es ist die Suche nach Sicherheit durch Aktionismus.
In der Biologie sichert der Herdentrieb das Überleben. Im modernen Management führt er oft dazu, dass wir uns blindlings bewegen. Wir sehen, dass der Wettbewerber „Agilität“ einführt, dass die Analysten „KI“ rufen oder dass ein neues Management-Framework gerade in Mode ist. Und der erste Impuls ist: „Das müssen wir auch machen.“
Das Gefühl dabei ist beruhigend. Wenn wir tun, was alle tun, können wir nicht ganz falsch liegen. Wir fühlen uns produktiv, weil wir ein Projekt aufsetzen. Doch ich sage Ihnen als Vorstand: Dieser Aktionismus ist gefährlich.
Der Mut, der Störenfried zu sein
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Meetingraum, voll besetzt mit motivierten Führungskräften. Die Stimmung ist aufbruchsorientiert. Jemand präsentiert die Einführung einer neuen Methode – nennen wir sie „XY“. Die Folien glänzen, der Zeitplan steht, alle nicken zustimmend. Man will ja modern sein. Man will vorankommen.
Und dann hebt einer die Hand und stellt die eine Frage, die die ganze schöne Stimmung ruiniert: „Warum brauchen wir die Einführung von XY eigentlich überhaupt?“
In diesem Moment sind Sie der Störenfried. Sie sind derjenige, der den "Flow" unterbricht. Sie sehen in rollende Augen. Sie hören das Seufzen der Kollegen, die denken: „Muss er jetzt wieder alles zerreden? Wir waren doch schon beim Roll-out-Plan!“
Doch genau an diesem Punkt entscheidet sich, ob wir uns dem Mainstream anschließen oder ob wir uns ein eigenes Bild verschaffen. Es ist leicht, sich auf das „Wie“ zu stürzen. Wie führen wir das Tool ein? Wie schulen wir die Mitarbeiter? Das „Wie“ ist handwerklich, das kann man abarbeiten. Aber das „Wie“ ist wertlos, wenn wir das „Warum“ und das „Was“ übersprungen haben.
Erst das Problem, dann die Lösung
In meiner Rolle erlebe ich oft, dass Lösungen präsentiert werden, die verzweifelt nach einem passenden Problem suchen. Da wird eine neue Prozess-Methodik gefordert, weil „man das heute so macht“.
Anders zu sein bedeutet hier: Stopp zu sagen. Es bedeutet, sich zurückzulehnen und zu fragen: Welches eigentliche Problem wollen wir hier lösen? Haben wir überhaupt ein Problem an dieser Stelle? Und wenn ja: Ist die Einführung von „XY“ wirklich die Antwort darauf, oder doktern wir nur an Symptomen herum?
Wer diese Fragen stellt, macht sich zunächst unbeliebt. Aber in Wahrheit ist dieser „Störenfried“ der effektivste Komplexitäts-Killer, den ein Unternehmen haben kann. Denn nichts erzeugt mehr unnötige Komplexität, mehr Frust und mehr Kosten als die Einführung von Dingen, die keinen echten Engpass lösen.
Sich ein eigenes Bild machen
Sich dem Mainstream anzuschließen, ist eine Form von intellektueller Bequemlichkeit. Es erspart uns das mühsame Durchdringen der eigenen Realität.
Ich möchte Sie ermutigen: Seien Sie dieser Störenfried. Trauen Sie sich, die naive Frage zu stellen, bevor der Zug abfährt. Wir werden als Führungskräfte nicht dafür bezahlt, Trends zu exekutieren. Wir werden dafür bezahlt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und oft ist die beste Entscheidung, etwas nicht zu tun, was alle anderen gerade tun, weil es für uns schlichtweg keinen Sinn ergibt.